Inhaltsverzeichnis
- Höhere Gewalt - Definition
- Gilt Coronavirus als höhere Gewalt?
- Rechtsfolgen gemäß BGB
- Höhere-Gewalt-Klausel in AGB wirksam?
- Lieferverzug wg. höherer Gewalt
- Beispiel: Reiserücktritt
- Hotel Stornierung
- Flugverspätung / Flugausfall
- Haftung und Haftungsausschluss nach § 7 II StVG
- Dienstverhinderung und höhere Gewalt im Arbeitsrecht
- Gilt Streik als höhere Gewalt?
Was gilt als höhere Gewalt? (© hafakot – stock.adobe.com)
„Pacta sunt servanda“, dieser Grundsatz meint das Prinzip der Vertragstreue und bedeutet übersetzt: „Verträge sind einzuhalten“. Aus diesem Grund werden schließlich Verträge auch geschlossen. Dieser Grundsatz tritt grundsätzlich mit Vertragsschluss ein. Allerdings gibt es Ausnahmen hiervon – dazu zählt z.B. höhere Gewalt. In diesem Fall werden die Partien in der Regel von ihren Hauptleistungspflichten befreit und es gibt auch keinen Schadensersatzanspruch.
Höhere Gewalt - Definition
Zunächst einmal stellt sich die Frage, was genau höhere Gewalt meint?
Umgangssprachlich würde man sagen, dass damit „etwas Unvorhergesehenes, auf das der Mensch keinen Einfluss hat“, gemeint ist.
Im Gesetz selbst findet sich keine Definition zum Thema höhere Gewalt.
Die Rechtsprechung bezeichnet diese als ein unvorhersehbares und unbeherrschbares, von außen kommendes Ereignis gemeint, das auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet bzw. abgewendet werden kann. Hierzu zählen vor allem Erdbeben, Pandemie/Seuchen, Überschwemmungen, Hurrican, Feuer und Blitzschläge, aber auch Kriege, Bürgerkriege und Revolutionen.
Voraussetzung ist also regelmäßig, dass es sich um ein Ereignis handelt, welches von außen auf die Vertragsparteien einwirkt und welches von ihnen bei der Vertragsgestaltung nicht bedacht worden ist.
JuraForum.de-Tipp: Höhere Gewalt wird international Force Majeure genannt.
In manchen (vor allem internationalen) Verträgen werden sogenannte Force-Majeure-Klauseln im Falle unerwarteter entsprechender Ereignisse eingebaut, um Streitigkeiten über das Thema höhere Gewalt und Haftungsfragen zu vermeiden. Eine solche Klausel räumt in der Regel dem oder den Vertragsparteien im Falle von Force-Majeure ein, von dem jeweiligen Vertrag zurückzutreten. Die Parteien legen darin fest, was darunter verstanden wird und listen dann quasi alle möglichen Fälle auf, die darunter fallen. Zudem werden auch die Rechtsfolgen festgehalten. In der Regel sehen diese vor, dass man das Recht zur Vertragsauflösung hat und zudem von der Zahlung von Schadensersatz befreit wird.
Unter Force-Majeure im internationalen Bereich fallen vor allem folgende Ereignisse und Umstände:
- Kriege, Bürgerkriege
- Boykottaufrufe und Revolutionen
- Rebellion, Aufruhr
- Naturkatastrophen
- Erdbeben
- Überschwemmungen
- ggf. Sturm / Hurrikan
- Feuer
- Seuchen, Pandemien / Epidemien (SARS, Corona-Virus etc.)
Gilt Coronavirus als höhere Gewalt?
Das Coronavirus legt aktuell das ganze Leben und große Teile der Wirtschaft lahm. Aufgrund der immensen weltweiten Ausmaße der Corona-Krise und der Tatsache, dass es sogar behördliche Anordnungen zu Betriebsschließungen, Reisewarnungen, Reiseverbote, Kontaktverbote und mancher Orts sogar Ausgangssperren gibt, kann man bei Corona relativ schnell „höhere Gewalt“ bejahen.
Zudem hat die WHO (Weltgesundheits-Organisation) Corona als gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite eingestuft. Sollte es also Vertragsstörungen in Verbindung mit dem Coronavirus geben, kann man im Ergebnis höhere Gewalt annehmen.
Im Übrigen wurde auch im Zusammenhang mit der SARS-Epidemie 2003 oft höhere Gewalt bejaht, obwohl die Ausmaße und Maßnahmen nicht annähernd mit denen von Corona zu vergleichen waren.
Wenn es zu einer Vertragsstörung gekommen ist und man sich die Frage stellt, ob im jeweiligen Fall Force-Majeure im Sinne des deutschen Zivilrechts vorliegt, muss dies vom Einzelfall abhängig gewürdigt und entschieden werden. Wenn die Vertragsstörung nicht auf der Corona-Pandemie beruht, muss dies verneint werden.
Rechtsfolgen gemäß BGB
In vielen Verträgen gibt es Klauseln zum Thema Force-Majeure, deren Tatbestandsvoraussetzungen und Auswirkungen auf die Leistungspflicht. Fraglich ist, ob diese Klauseln rechtlich Bestand haben.
Höhere-Gewalt-Klausel in AGB wirksam?
Wenn zwei Parteien Verträge vereinbaren, sind in der Regel auch AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen) Bestanteil des Vertrages und gelten als Geschäftsgrundlage. Innerhalb der AGB befinden sich dann diverse Klauseln und Regelungen bzgl. der Leistung und Leistungspflicht. Wenn die Parteien Regelungen zuForce-Majeure getroffen haben, dann in der Regel im Rahmen der vereinbarten AGB. In der Regel wird weiterhin vereinbart, dass derjenige, der von höherer Gewalt betroffen ist, den Vertragspartner innerhalb einer bestimmten Frist informieren muss (Anzeigepflicht). Zudem wird vor allem vereinbart, dass wenn die Lieferung oder Ausführung wegen einer durch die höhere Gewalt verursachten Störung unmöglich oder unzumutbar wird, das betroffene Unternehmen vom Vertrag ganz oder teilweise zurücktreten kann und Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sind.
JuraForum.de-Tipp: Klauseln zu Force-Majeure in AGB sind grundsätzlich erlaubt.
Ob die entsprechenden Klauseln aber auch wirksam sind, hängt vom Inhalt der Klauseln ab. So unterliegen AGB unterliegen einer besonderen Inhaltskontrolle, die die Vertragsfreiheit des Verwenders der AGB (die grundsätzlich im Gesetz verankert ist) einschneidend beschränkt, vor allem zu Gunsten des Vertragspartners. So ist die zentrale Vorschrift der Inhaltskontrolle § 307 BGB. Diese bestimmt, dass eine Klausel in AGB unwirksam ist, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Lieferverzug wg. höherer Gewalt
Die Verträge bzw. AGB der Vertragsparteien betreffen vor allem auch das Thema Lieferverzug. Eine solche Klausel könnte wie folgt aussehen:
„Kann eine Frist nicht eingehalten werden wegen höherer Gewalt, z.B. Krieg oder auf ähnliche, nicht vom Verkäufer zu vertretende Ereignisse, z.B. Streik oder Aussperrung, verlängern sich die Fristen um die Zeiten, während derer das vorbezeichnete Ereignis oder seine Wirkungen andauern.“
oder auch so:
„Wenn höhere Gewalt den Kunden oder den Verkäufer betrifft, kommt die entsprechend betroffene Partei hinsichtlich der von höherer Gewalt betroffenen Verpflichtungen nicht in Verzug, so dass ihre Pflicht zur rechtzeitigen Erfüllung dieser Verpflichtungen für die Dauer der höheren Gewalt automatisch ausgesetzt wird.“
„Ereignisse höherer Gewalt können insbesondere sein: Krieg, Bürgerkrieg, Überschwemmungen, Erdbeben, Naturkatastrophen, Streik oder Aussperrung, Rebellion, Aufruhr, Blitzschlag, Hagel, Feindseligkeiten, Invasion, feindliche Handlungen und innere Unruhen, Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes, Terrorismus, Revolution, Aufstand, militärische oder widerrechtliche Machtergreifung und Sabotage, Brand, Kampfmittel, Sprengstoffe etc.“
Derartige Klauseln sind erlaubt und wirksam.
JuraForum.de-Tipp: Beim Thema Lieferverzug verlängert sich also im Ergebnis in der Regel die Frist um die Zeit des Umstandes.
Reiserecht & Versicherung
Auch im Bereich Reiserecht rückt das Thema immer wieder in den Mittelpunkt. Was dies im Reiserecht bedeutet, hat der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung wie folgt definiert:
„Höhere Gewalt im Sinne des § 651j BGB (a.F.) ist ein von außen kommendes, auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis, das weder der betrieblichen Sphäre des Reiseveranstalters noch der persönlichen Sphäre des Reisenden zuzuordnen ist“, so der BGH in einem Urteil vom 16.05.2017, Az. X ZR 142/15.
Beispiel: Reiserücktritt
Als Reisender hat man das Recht, generell vor der Antritt einer Pauschalreise jederzeit ohne Angabe von Gründen vom Reisevertrag zurückzutreten. Dem Reiseveranstalter steht dann kein Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Reisepreises zu. Allerdings kann er eine angemessene Entschädigung verlangen (Stornogebühr). Für diese Stornokosten tritt auch keineReise-Rücktrittskostenversicherungein. Eine solche greift, wenn man aufgrund einer schweren Krankheit oder den Tod eines nahen Angehörigen daran gehindert wird, an der Reise teilzunehmen.
Wegen höherer Gewalt (politische Unruhen, Terroranschläge, Naturkatastrophen etc.) können aber Urlauber eine gebuchte Pauschalreise kündigen und erhalten den vollen Preis zurück. In der Regel gibt es dann für das entsprechende Urlaubsziel eine Warnung des Auswärtigen Amtes vor. In diesem Fall sollte man den Reisevertrag schriftlich kündigen und sich auf die Warnung des Auswärtigen Amtes berufen. Zudem sollte man den Preis zurückverlangen und hierzu eine angemessene Frist von 10 Tagen setzen.
JuraForum.de-Tipp: Als Urlauber kann man eine gebuchte Reise also nur im Zusammenhang mit höherer Gewalt kostenlos stornieren.
Hotel Stornierung
Wenn man eine Hotelbuchung storniert, weil man beispielsweise erkrankt ist, hat das Hotel in der Regel dennoch einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Übernachtungskosten, wobei aber ersparte Aufwendungen abgezogen werden müssen.
Allerdings sieht dies wieder anders aus, wenn ein Fall von höherer Gewalt vorliegt. Wenn das Zielgebiet oder das Hotel wegen höherer Gewalt nicht mehr zugänglich ist oder z.B. unter Quarantäne gestellt wird, ist der Gast von der Zahlungspflicht befreit. Gleichzeitig wird der Hotelbetreiber von seiner Leistungspflicht befreit.
Flugverspätung / Flugausfall
Die Fluggastrechte für Passagiere wurden seit der EU-Verordnung 261/2004 gestärkt. Danach hat man als Passagier laut EU-Recht u.a. einen Anspruch auf Entschädigung, wenn die Airline für die Flugstornierung verantwortlich ist.
Ursache des Problems darf demnach nicht "höhere Gewalt"sein.
Haftung und Haftungsausschluss nach § 7 II StVG
Das Thema höhere Gewalt und Haftung spielt bei Verkehrsunfällen hin und wieder eine wichtige Rolle.
Die sogenannte Halterhaftung richtet sich nach § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes. Danach haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs oder Anhänger ohne Verschulden, wenn bei dem Betrieb seines Kfz ein anderer verletzt oder getötet oder eine Sache beschädigt wird.
Allerdings ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird, so § 7 Abs. 2 StVG (Haftungsausschluss).
Höhere Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG ist ein von außen kommendes, betriebsfremdes, unvorhersehbares Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt nicht vereitelt werden kann.
Nach der Schuldrechtsmodernisierung wurde der Begriff des unabwendbaren Ereignisses durch den Begriff der höheren Gewalt ersetzt. Damit wollte man vor allem Kindern im Straßenverkehr mehr schützen. Denn beim unabwendbaren Ereignis wird auf den Idealfahrer abgestellt, wobei bei der höheren Gewalt nur noch elementare Naturkräfte oder evtl. Handlungen Dritter in Betracht kommen, die unvorhersehbar und unabwendbar sind.
Dienstverhinderung und höhere Gewalt im Arbeitsrecht
Zwar gilt im Arbeitsrecht der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“.
Allerdings kann es auch im Arbeitsrecht Fälle von Dienstverhinderung geben. So kann es zu Situationen kommen, wo aufgrund von höherer Gewalt der Angestellte nicht zur Arbeit kommen kann oder gar der Betrieb geschlossen werden muss oder dergleichen. Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer das Risiko (sog. Wegerisiko), so dass es seine Sache ist, wie er von seiner Wohnung zur Arbeitsstelle gelangt.
Es gibt Fälle, wo der Angestellte zwar nicht arbeitet und dennoch seinen Vergütungsanspruch behält, die von § 616 BGB erfasst werden.
Hierzu gehören Fälle wie
- Krankheit des Angestellten
- persönliche Unglücksfälle beim Angestellten
- Wohnungsbrand beim Angestellten
- Einbruch in Wohnung/Haus des Angestellten
- Verkehrsunfall
- Plötzlicher Defekt des Fahrzeugs, womit er zur Arbeit fährt
JuraForum.de-Tipp: Liegt ein allgemeiner Verhinderungsgrund vor, der Folge von höherer Gewalt ist, ist der Arbeitgeber nicht eintrittspflichtig. Hier hat der Angestellte weiterhin dafür zu sorgen, dass er pünktlich zur Arbeit kommt. Den Angestellten trifft also auch in solchen Fällen weiterhin das Wegerisiko.
Gilt Streik als höhere Gewalt?
Der Angestellte kann sich – wie oben beschrieben – nicht auf höhere Gewalt berufen und trägt grds. das Wegerisiko, also auch in Fällen von Schnee, Glatteis, Hochwasser oder auch bei Streiks. Erscheint er nicht zur Arbeit, riskiert er eine entsprechende Gehaltskürzung. Als Arbeitnehmer hat man demnach auch bei Streiks die Verpflichtung zur Arbeit zu erscheinen. Den Lohn muss der Arbeitgeber trotz Arbeitsausfall dann bezahlen, wenn der Arbeitsausfall in das sogenannte Betriebsrisiko des Arbeitgebers fällt (Falll: der Mitarbeiter soll mit dem Flugzeug eine Dienstreise machen, allerdings wird der Flug gestrichen und der Mitarbeiter kann nicht an seinen Einsatzort gelangen).
Der Bundesgerichtshof hat in 2 Urteilen am 21.08.2012 entschieden, dass ein Streik bzw. die Ankündigung eines solchen als höhere Gewalt gewertet wird, die das Unternehmen von der Verpflichtung zur Leistung einer Ausgleichszahlung befreit; BGH, Urteile v 21.08.2012, X ZR 138/11 u. X ZR 146/11.
JuraForum.de-Tipp: Im Ergebnis gilt demnach ein Streik als höhere Gewalt.
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